Hannah: Guten Morgen, Herr Steinbrener! Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen. Vielleicht darf ich Ihnen zuerst etwas darüber erzählen, was wir eigentlich machen, damit Sie einen Eindruck davon haben, wo wir hinwollen. Wir schreiben einen Kunstwettbewerb für junge Leute von 15 bis 25 aus, die alle Arten von kreativen Arbeiten einreichen können. Sie sind dabei nicht an ein bestimmtes Medium gebunden – das Werk muss nur thematisch mit dem Thema „Klimaflucht“ zusammenhängen. Und nachdem Sie ja Künstler sind und vielfältige Dinge schaffen, wollte ich fragen, wie das bei Ihnen im Beruf eigentlich so ist. Zuerst – ganz grundlegend – macht Ihr überhaupt Auftragsarbeiten, dass euch jemand engagiert und sagt, ihr sollt jetzt zu einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Veranstaltung etwas machen?
Christoph Steinbrener: Ja, sicher. Das ist ein Teil unserer Arbeit, die im Grunde zweigeteilt ist. Zum einen initiieren wir viele Sachen selbst. Wir haben unsere Schubladen mit Ideen, die wir irgendwann einmal hatten oder die wir entwickelt haben oder Entwürfe über Themen, wo wir es innerhalb unserer Arbeit für sinnvoll halten, dass man da irgendetwas entwickelt – das ist die Seite, die sich aus der Studioarbeit ergibt, aber auch aus unseren Interessen, aus der politischen Lage et cetera. Das zweite ist, dass Leute von außen an uns herantreten. Das sind Museen, Sammler oder es kann zum Beispiel auch sein, dass ein Immobilienentwickler zu uns kommt, vor einiger Zeit hat sich zum Beispiel der Besitzer des Hotels Intercontinental an uns gewendet. Es ist unterschiedlich, wie solche Sachen entstehen und man passt sich der Situation an.
Vor einigen Jahren wurden wir beispielsweise im Rahmen des Hamburger Architektursommers nach Hamburg eingeladen, um dort etwas zu machen. Dann überlegen wir natürlich in Zusammenhang mit Hamburg und Architektur. Nachdem ich aus Hamburg komme, war es nicht so schwierig, einen guten Platz zu finden und dazu dann ein Projekt zu machen. Man muss allerdings dazusagen, dass solch eine Projektentwicklung, also keine Studioarbeit, sondern ein Projekt, das wir im öffentlichen Raum durchführen, vom Anfang bis zum Ende circa zwei Jahre Arbeit umfasst.
Hannah: Das heißt, dieser Ideenfindungsprozess kann durchaus sehr langwierig sein – verstehe ich das richtig?
Christoph Steinbrener: Der Ideenfindungsprozess läuft bei uns sehr unterschiedlich ab. Um eine Idee zu entwickeln, die für ein großes, öffentliches Projekt geeignet ist, brauchen wir im Schnitt ungefähr ein Monat. Manchmal geht es viel schneller, manchmal dauert es ein bisschen länger.
Hannah: Welche Aspekte muss man in so einer Situation beachten?
Christoph Steinbrener: In unserem Kollektiv sind wir zu dritt, insofern haben wir auch drei verschiedene Zugänge zu einem Projekt. Rainer ist Fotograf und Grafiker, Max ist Architekt und ich bin Bildhauer. Damit haben wir unterschiedliche Zugänge zu bestimmten Themen. Auch unser Wissen ist sehr unterschiedlich – wir haben ja verschiedene Qualifikationen und allein daraus ergibt sich meistens schon etwas. Zweitens ist es wichtig, vor Projektbeginn ein vernünftiges Research zu machen. Im Falle des Themas „Klimamigration“ würde ich empfehlen, dass man sich anschaut, was der Stand der Dinge heute ist, also was Klimamigration eigentlich ausmacht. Es ist wichtig, dass man das weiß, bevor man sich überlegt, etwas dazu zu machen. Auch welche Auswirkungen die Thematik hat, wie die Zukunft ausschaut und wie die Vergangenheit. Bei uns geht es immer auch sehr schnell darum, wie man bestimmte Sachen visualisiert, was die Kernfrage des künstlerischen Schaffens ist. Für Euren Wettbewerb wird das nicht so wichtig sein, aber bei uns geht es im Zuge des Researchs auch immer darum, was es zu einem Thema schon an Arbeiten gibt.
Ein, gar nicht so seltenes Phänomen, weil es ja irrsinnig viele Künstler weltweit gibt, ist die Gleichzeitigkeit von Ideen. Vor ein paar Jahren ist uns das zum Beispiel passiert. Wir arbeiten sehr viel mit Modellen. Wenn wir einen Raum haben, von dem wir wissen, da tun wir etwas, ob das ein Innenraum eines Museums ist, ein Gebäude, wo wir an der Außenfassade etwas machen sollen oder der Stadtraum im Allgemeinen, bauen wir ein Modell. Einmal hatten wir bei einem Innenraummodell eine Idee, die so entstanden ist, dass wir zuerst dachten, wir hätten keine Idee und ich habe eine Skizze genommen, zusammengeknüllt und den Papierknödel in den Modellraum hineingeworfen. In dem Moment, in dem der Papierknödel im Modell lag, dachten wir, dass das eigentlich eine gute Geschichte wäre, einen übergroßen Papierknödel mit 6 Metern Durchmesser zu bauen. Dann haben wir aber ein kurzes Research gemacht und festgestellt, dass es bereits einen Künstler gibt, der hauptsächlich mit solchen Sachen arbeitet und international bekannt ist. Wenn man das weiß, macht man so etwas nicht.
Hannah: Wir stellen unseren Teilnehmern frei, womit sie arbeiten wollen. Haben Sie ein Lieblingsmedium, etwas, womit Sie besonders gerne arbeiten oder unterscheidet sich das von Werk zu Werk?
Christoph Steinbrener: Prinzipiell unterscheidet sich das von Werk zu Werk. Man entwickelt im Laufe der Zeit ein „Besteck“, dessen man sich bedienen kann. Die Mittel für den Innenbereich im Gegensatz zum Außenbereich sind aber nicht vergleichbar. Wie wir draußen arbeiten, ist unterschiedlich, weil es von so vielen Faktoren abhängt. Im Innenraum, im Ausstellungsbereich, arbeiten wir gerne mit Collagen, wenn es um flache Darstellungen – klassischerweise um Bilder geht. Momentan bereiten wir aber auch eine Museumsausstellung vor, wo wir 1400 Quadratmeter Fläche befüllen müssen. Dazu haben wir ein altes, naturwissenschaftliches Instrumentarium wiederbelebt und aktualisiert, nämlich das „Diorama“. Das sind Schaukästen, die ganz klein sein können, aber auch riesig. Unsere sind 6x10x3 Meter groß, fast wie kleine Häuschen.
Man kennt Dioramen vielleicht aus naturwissenschaftlichen Museen. Man schaut in diesen Kasten hinein und sieht Tiere in ihrer natürlichen Umgebung. Im Vordergrund stehen die Präparate der Tiere, mit Steinen, Gras und so weiter und im Hintergrund sieht man die Landschaft, in der sie sich normalerweise aufhielten – entweder gemalt oder als Fotoleinwand. Der Übergang zwischen den echten, dreidimensionalen Stücken und dem Gemalten wird so kaschiert, dass man es optisch kaum noch erkennen kann, vergleichbar mit dem Kulissenbild eines Illusionstheaters. Das ist eine Technik, die uns irrsinnig gefällt und die wir in verschiedenster Weise – von sehr kleinen Miniaturdioramen bis zu wirklich großen Stücken, wie wir sie jetzt in diesem Museum verwenden – probiert haben.
Hannah: 1400 Quadratmeter ist viel Platz – ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie einen Auftrag bekommen haben und Ihnen nichts eingefallen ist?
Christoph Steinbrener: Nein (lacht). Das passiert eigentlich nicht. Ich bin jetzt doch schon etwas länger in dem Geschäft tätig und da hat man so viele grundsätzliche Arbeiten und Entwürfe, auf die man im Zweifelsfall zurückgreifen kann. Aber Du hast natürlich Recht, bei 1400 Quadratmetern haben wir auch in unserem Lager nicht genügend Arbeiten und man will ja auch nicht immer dieselben, alten Stücke zeigen. Es ist immer die Frage, wie das Ziel des Auftraggebers lautet. Manchmal bekommen wir eine Anfrage, bei der wir auf bestehende Arbeiten hin eingeladen werden und er sagt, dass er bestimmte Werke gerne irgendwo zeigen würden – dann hat sich die ganze Sache praktisch von selbst erledigt – quasi eine Leihgabe für eine Gruppen- oder Themenausstellung. Oder es gibt eine Anfrage – wie im Falle des Museums mit den Dioramen – wo der Auftraggeber will, dass man zu einem bestimmten Thema etwas entwickelt. Dann müssen die Sachen neugebaut werden, dass ist aber kostspielig für den Kunden, der das bezahlen muss, sonst wäre die Finanzierung für uns ein bisschen schwierig (lacht).
Hannah: Zu Schwierigkeiten bezüglich der Ideenfindung kommt es bei Ihnen eigentlich nicht, wenn ich das richtig verstehe. Gibt es andere Dinge, die man beachten muss?
Christoph Steinbrener; Eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt das Budget, um gewisse Sachen realisieren zu können. Es gibt offene oder geladene Wettbewerbe, bei denen wir in der Vergangenheit auch immer mal wieder mitgemacht haben – mittlerweile machen wir aber nur mehr geladene, also auch fix bezahlte Projekte, da wir so aufwändig arbeiten, dass es anders nicht finanzierbar wäre. Prinzipiell ist es so, dass man bei der Aufgabenstellung eines Wettbewerbs meist schon ungefähr abschätzen kann, was das Budget ist und dementsprechend entwickelt man dann auch das Projekt. Wenn das Budget sehr gering ist, dann entsteht das Werk natürlich auch aus dementsprechend billigen Materialien. Zusätzlich gibt es auch einen gewaltigen Unterschied, ob es um eine temporäre oder eine dauerhafte Arbeit geht. Oder auch ob es im privaten Rahmen oder in der Öffentlichkeit stattfinden soll – wollt ihr Werke, die in der Öffentlichkeit passieren?
Hannah: Man muss nicht zwingend im öffentlichen Raum arbeiten – es gibt aber natürlich die Möglichkeit dazu und wir stehen unseren Teilnehmern bei Bedarf auch mit Rat und Tat zur Seite.
Christoph Steinbrener: Es hat mich nur interessiert, weil das ja nicht unkompliziert ist, mit den ganzen Genehmigungen et cetera. Solche Sachen – was möglich ist und was kompliziert werden könnte – wissen wir, einfach aufgrund unserer Erfahrung mittlerweile im Schlaf. Das erste, was man hier beachten muss, ist die öffentliche Sicherheit. Das heißt, du kannst nicht einfach an eine Fassade irgendetwas dranhängen, wo ungeklärt ist, was passiert, wenn es einen starken Sturm gibt und das jemandem auf den Kopf fällt. Da gibt es bei uns einen wesentlichen Unterschied zu den subversiven Undergroundkünstlern, zum Beispiel bei Graffitis, wo Leute in der Nacht irgendwo illegal hinlaufen und dort dann sprayen. Wir wollen, dass unsere Sachen offiziell genehmigt sind, weil wir oft mit öffentlichen Mitteln arbeiten, da geht das dann gar nicht anders.
Hannah: Das heißt, es gibt im Hintergrund viele Dinge, die man mitberücksichtigen muss, neben dem reinen „Schaffen“ – quasi „Verwaltungsaufgaben?
Christoph Steinbrener: Es gibt verschiedene Weisen, wie man arbeiten kann. Wir arbeiten ohne Galerie, was auch heißt, dass die gesamte Verwaltung an uns hängen bleibt. Wenn ich in Prozenten angeben müsste, wie viel von meinem Beruf administrative, nicht-künstlerische Tätigkeiten wären und wie viel Zeit ich mit tatsächlicher künstlerischer Arbeit verbringe, wäre ich froh, wenn das ausgeglichen wäre. Das ist aber nicht der Fall, administrative Aufgaben nehmen weit mehr Zeit in Anspruch. Man kann diese Arbeit selbstverständlich auch einem Galeristen überlassen, der aber auch circa 50% deines Einkommens für sich beansprucht. Das ist in der Branche so üblich.
Hannah: Wie hat sich das eigentlich ergeben mit Ihrer Karriere als Künstler?
Christoph Steinbrener: Ich habe auf der Akademie der Bildenden Künste Bildhauerei studiert – also einen relativ linearen Weg beschritten. Martin ist Architekt und arbeitet teilweise auch noch als solcher. Rainer ist gelernter Grafiker, Typograf und Fotograf, ist Direktor der Viennale und arbeitet dort auch mit. Ich bin als einziger hauptberuflich in der bildenden Kunst, wobei ein großer Teil meiner Arbeit eben auch aus Telefonieren, Kommunizieren, Abrechnen und so weiter besteht.
Hannah: Haben Sie noch einen Rat, den Sie unserer Zielgruppe mit auf den Weg geben möchten? Das Kollektiv, bei dem Sie mitarbeiten, hat ja selbst schon an Wettbewerben teilgenommen – worauf kommt es da an?
Christoph Steinbrener: Das eine ist, dass man schaut, dass es die Arbeit nicht irgendwo schon gibt. Wenn man eine Idee entwickelt, sollte man das noch einmal überprüfen und hinterfragen. Das zweite ist relevant, wenn man in der Öffentlichkeit arbeitet. Die Arbeit muss, damit sie funktioniert, gesehen werden. Es geht um Aufmerksamkeit. Man muss bedenken, dass 90% der Flächen kommerziell für Werbung genutzt werden und dem etwas künstlerisches entgegenzusetzten, halte ich für nicht so einfach. Es ist wichtig, dass man sich überlegt, wie man Aufmerksamkeit erregen kann und was das Problem ist, wenn das Werk übersehen wird. Wenn wir eine Arbeit entwickelt haben und das Projekt fertig ist und im öffentlichen Raum steht, schauen wir uns sehr genau an, wie die Leute reagieren, ob sie das Werk übersehen und warum. Das ist uns auch immer wieder passiert, dass Arbeiten von uns schlichtweg nicht wahrgenommen wurden.
Hannah: Wie geht man damit um, wenn seine Kunst nicht funktioniert?
Christoph Steinbrener: Man kann nur seine Lehren daraus ziehen und mit der Erfahrung wird das auch immer seltener. Mittlerweile gelingen uns auch Projekte, die viel beachtet werden. Vor Jahren haben wir einmal eine Ausstellung im Tiergarten Schönbrunn gemacht, die medial sehr große Aufmerksamkeit bekommen hat. Das waren sechs Installationen in Tiergehegen und eine bestand daraus – wir haben Umweltthemen thematisiert, es ging um Zivilisationsgrenzen – dass wir im Pinguingehege eine sechs Meter hohe Ölpumpe installiert haben. Das war ein riesiges Ding und wir standen dann daneben und haben uns angeschaut, wie die Leute reagieren.
Sie haben die Ölpumpe nicht gesehen. Wir haben nicht verstanden, dass das niemand bemerkt hat, bis uns klar geworden ist, woran es lag. Im Hintergrund wurde nämlich gerade das Südamerikahaus gebaut und da standen Kräne und Maschinen herum. Die Leute haben das wahrscheinlich einfach in das Panorama der Baustelle eingeordnet und für ein Baugerät gehalten. Solche Sachen können auch passieren, wenn man schon Jahre lang im Geschäft ist. Wir haben in unseren Vorbereitungen diese Baustelle nicht mit eingeplant, weil sie zu Projektbeginn, als wir unsere Fotos gemacht haben noch nicht existiert hat und so haben wir diese Kräne nicht mitbedacht. So etwas kann immer passieren. Die Lehre, die wir daraus gezogen haben, war, dass, wenn wir im öffentlichen Raum etwas machen, wir uns nicht nur auf diese Arbeit konzentrieren, sondern uns wirklich auch erkundigen, was für Bautätigkeiten dort geplant sind oder ob bei Gebäuden, wir machen ja auch öfter etwas an und mit Fassaden, Verhängungen geplant sind, weil so etwas das Gesamtbild natürlich massiv beeinflusst.
Hannah: Danke sehr, dass Sie sich die Zeit genommen haben, es war wirklich spannend!
Christoph Steinbrener: Sehr gerne, viel Erfolg an alle Teilnehmenden!
Ein Interview von Hannah Scheidemandel, UNSA Vienna, am 11.11.2020.
Zum Künstlerkollektiv Steinbrener/Dempf&Huber:
Steinbrener/Dempf & Huber ist ein Künstlerkollektiv, bestehend aus dem Bildhauer Christoph Steinbrener, dem Fotografen und Grafiker Rainer Dempf und dem Architekten Martin Huber. Ihre Arbeiten im öffentlichen Raum sorgten wiederholt für großes Aufsehen. Sie thematisieren in ihren Werken die Kommerzialisierung des urbanen Raums, das Verhältnis von Zivilisation und Natur, sowie andere gesellschaftliche Sachverhalte. Es ist kein Zufall, dass die Arbeit des Künstlertrios an den minutiös geplanten Projekten für den öffentlichen Raum einer Regiearbeit ähnelt, sind doch bei vielen Interventionen Filmkulissenbauer beteiligt, die sonst für große amerikanische Produktionen tätig sind. Seit einigen Jahren betreiben Steinbrener/Dempf & Huber zudem in den Schaufenstern ihres Gassenlokal-Studios im 2. Wiener Gemeindebezirk die Wandzeitung.
Quelle: http://www.steinbrener-dempf.com/info/